Die vergessene Kunst des Wartens Teil II

Ich höre Dich schon sagen: Ja, aber was sollen wir denn machen? Wie sollen wir denn nun warten: Zwischen Säen und Ernten! Einfach nichts tun und Fernsehen?Hier einige Gedanken und Erfahrungen von mir dazu:
Ich erinnere mich, dass ab und an mir Menschen nach Jahren erzählten, dass Ihnen ein Wort, ein Gedanke, eine Handlung von mir nachgelaufen sei und ihrem Leben eine andere Wendung gegeben habe. Ich selber hatte längst alles vergessen und an diese Menschen keine Gedanken mehr verschwendet. Und trotzdem hat Gottes Geist in Ihnen etwas reifen und wachsen lassen, dass ihr Leben berührte, sie sogar veränderte. Ich habe wirklich nichts weiter getan – als gewartet. Und das nicht einmal gemerkt.

Vor Gott stehen
In meiner unmittelbaren Umgebung sieht das aber anders aus. Ich sehe die Menschen immer wieder – und warte und erwarte, dass sich etwas verändert. Das fällt mir oft nicht so leicht. Es dauert mir einfach zu lange und mir fällt es umso schwerer zu warten, je enger ich mit diesen Menschen zusammen bin. Wie sieht das Warten hier nun aus?
Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen: Ich habe keine Ahnung, wie Gottes Zeitplan mit diesem Menschen aussieht. Aber: Wenn ich dann vor Gott stehe, merke ich meistens eines sehr schnell: Dass mein Zeitplan für andere wesentlich kürzer aussieht, als Gottes Zeitrahmen. Dass mein Horizont enger, kürzer und unbarmherziger ist, als Sein Horizont. Dies gilt es dann vor IHM zu bekennen und sich nach Seinen Gedanken auszustrecken. Manchmal zeigt Er mir dann einfach, wie tief Seine Liebe für diese Person ist. Oder Er gibt mir eine Verheißung für diese Person – ein Bibelwort oder etwas anderes, das mich ermutigt, weiter zu warten oder es ihm bzw. ihr auf geeignete Art und Weise zu vermitteln. Oder Er zeigt mir ein weiteres Samenkorn, dass ich in sein Herz legen darf. Manchmal kommt auch durch den Mund eines anderen Menschen eine Bemerkung, die mich ermutigt, diese Person nicht aufzugeben, sondern weiter auf Gottes Wirken zu warten, wie es mir neulich durch jemand zugesprochen wurde:

„Die Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu ihrer Zeit und wird endlich frei an den Tag kommen und nicht trügen. Wenn sie sich auch hinzieht, so harre ihrer; sie wird gewiss kommen und nicht ausbleiben. (Habakuk 2,3)

Während dieses Warteprozesses geschieht noch etwas höchst Bemerkenswertes: Ich selber werde verändert. Die Frucht der Geduld, der Barmherzigkeit, der Liebe etc. bekommt die nötige Zeit, zu reifen und zu wachsen. Würde diese Zeit zum Reifen ausbleiben, weil unsere Anliegen und Wünsche unmittelbar in die Realität kommen, wie sollten dann diese Früchte wachsen und zur Entfaltung kommen? Gerade in den unerfüllten Wünschen, die sich hinziehen, bekommt Gott die Gelegenheit, diese wichtigen und unersetzlichen Charakterelemente in unser Leben hineinzubauen. Offensichtlich scheint dies Gott in etlichen Fällen wichtiger wie auch vordringlicher zu sein, als die unmittelbare Erfüllung unserer kleinen oder größeren Wünsche oder dass Sein Reich ganz zügig, sofort und schnell – „natürlich durch uns“ – gebaut wird.

In der Ewigkeit ankern
Diese Zubereitung Gottes ist nun nicht nur auf diese Welt ausgerichtet, sondern auf die ganze Ewigkeit. Der Blick der Apostel ging über diese Zeit hinaus und war in der Ewigkeit Gottes verankert. Aus diesem Blick in die ewige Welt Gottes zogen die Väter des Glaubens ihre Energie:

durch die unerfüllten Spannungsfelder des Lebens zu gehen – denn sie sahen hin auf die Belohnung (Hebr. 10,35).

Dies ist der dritte Aspekt, der meine Wartezeit prägen und in dem ich mit Gott zusammenarbeiten darf: Meinen Blick in der Ewigkeit Gottes zu verankern. Mir bewusst zu machen: Um was geht es wirklich. Der Apostel Paulus schreibt dazu:

„Denn unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“ (2. Korinther 4,17+18)

Es geht nicht nur um diese Welt, um diese Zeit – sondern es geht um die Ewigkeit. Es geht um eine ewige Existenz in Gottes Gegenwart. Das ist wahrhaftig langfristiges Denken, das die enge Sicht eines diesseitigen kurzfristigen Erfolgsdenkens sprengt. Je mehr wir nun mit dieser Sicht in der Ewigkeit Gottes verwurzelt sind, desto mehr werden wir über den Horizont unserer gegenwärtigen Spannungsfelder in die ewigen Pläne Gottes schauen können. Dies wird uns Flügel geben, nach vorne zu sehen und auf SEINE Zeit für uns zu warten. Darum heißt es auch im Propheten Jesaja:

„Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen [weil ihre Sicht im kurzfristigen Erfolgsdenken des Diesseits verwurzelt ist], aber die auf den Herrn harren [warten], kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ (Jesaja 40,30-31).

Sie bekommen neue Kraft, eine Kraft, die völlig anders ist als das, was sie vorher kannten. Sie warten. Worauf? Auf den Wind, den Aufwind Gottes und lassen sich von ihm tragen. Du bekommst nicht mehr Kraft, um dein altes Leben von „schneller, höher, weiter“ wie gehabt mit mehr power zu führen. Aus dem Warten auf Gottes Timing wächst hingegen etwas Neues: Ein veränderter Charakter, das Verhungern der eigenen Ambitionen und das Verstehen, sich als ein Teil eines Ganzen zu sehen. Gott baut die verschiedenen Teile deines Lebenspuzzles zu einem wunderbaren Bild zusammen, wenn du IHN die Regie und Führung überlässt. Dies wirst du am Anfang deines Lebens nicht sehen, sondern nur glauben können. Aber je mehr Puzzlesteine sich in dein Lebensbild einfügen, umso mehr wirst du Zusammenhänge erkennen können und du wirst eine Ahnung bekommen, was unser Gott mit dir im Sinn hat. Das macht das Leben spannend und lebenswert… und dafür lohnt es sich: die vergessene Kunst des Wartens zu lernen.